Hanne Loreck
Bilderanstalt – eine Versuchsanordnung

erschienen in der Beton Brut #1/10 anlässlich der Ausstellung Beyond Belonging

/

Beyond Belonging besteht aus sechs Elementen, die sich lose aneinanderreihen. Gerahmt von einem Schaufenster und vertikal durchstrichen von metallenen Profilen (1) sind Bekleidung (2, 6), ein Zaunsegment vom Baumarkt (3), der Neonschriftzug provide comfort (4) und eine Fotokehle (5) ausgestellt. Diese Objekte tragen ihre Funktion als alltägliche Markierungen in Heiko Karns visuelle Versuchsanordnung ein: Das Scherengitter, eine Art Jägerzaun light, grenzt „meines“ von „deinem“ ab – belonging, die Zugehörigkeit, wird im Plural belongings zum Eigentum. Dergestalt entwirft der Zaun die Frage von Besitzen und Besetzen, von rechtmäßiger Position im Verhältnis zur illegitimen Übertretung in den Raum hinein. Grund und Boden, Gebiet und Territorium, beinahe synonym im Sprachgebrauch, unterscheiden sich freilich wesentlich in juridischer Hinsicht. Denn auf ein Territorium erheben einzelne Personen, Institutionen oder Staaten einen Eigentums-, Hoheits- oder Machtanspruch. Ist erst einmal ein Bereich territorial bestimmt, sind Konfliktzonen und Kriegsräume absehbar.
So geht es (auch) um den spezifischen Ort, den das Schaufenster bespielt: Schließlich befinden sich hinter dem Schaufenster des Kunstvereins Zellen, in die die Polizei nächtens und ohne großes Aufsehen, nämlich durch die Hintertür, betrunkene und gewalttätige Menschen für die Nacht in Gewahrsam nimmt. Das Kunst-Schaufenster, die in mehrerlei Sinn ansprechende Öffnung zur Straße, hat also eine unsichtbare Rückseite. Daher errichten die Metallprofile unmittelbar hinter der Fensterscheibe die Struktur dieser einzelnen, geschlossenen und, wie zu vermuten ist, fensterlosen ‚Ausnüchterungskäfige’ andeutungsweise. Und die Vitrine macht selbst eine Rückseite aus: Den Haupteingang des Polizeibehörde finden wir, einmal durch das Gebäude hindurch, auf der anderen Seite, an der Hauptstraße. Die weiße Zelle der Kunst zeigt sich bei Heiko Karn als Hinweis auf den Ort, während sie generell als seine Maskierung, seine Tarnung auftritt.

Doch hat die Markierung, um deren unterschiedliche wie sich gegenseitig unterstützende Dimensionen es in der Installation geht, mindestens eine weitere Funktion: Über die diskrete paramilitärische Kleidung weist sie autoritäre Funktionen in jenem Zwischenbereich aus, in dem das Zivile und das Militärische, Verteidigung und Aggression sich so nahe geraten, dass sie oftmals ununterscheidbar werden.
In diesem symbolisch-materiellen Zusammenhang kommt der Fotokehle eine ebenso vermittelnde wie trennende Aufgabe zu. Als professionelles Hilfsmittel von Fotografen gilt die weiße Bahn als optimaler Hintergrund für freigestellte Aufnahmen. So steht sie da als das Versprechen einer spurlosen, ja ahistorischen Sichtbarkeit. Mit ihrem weichen, konturlosen Fall isolierte sie alles, was der Kamera „vor die Flinte“ käme, aus seinem Umfeld, dem Kontext, dem dreidimensionalen Raum. Diese Bühne für eine jedes Objekt oder Sujet idealisierende fotografische Operation wird hier selbst als eine symbolische Geste eingesetzt, die zusammen mit der Lichtschrift und der Kleidung die Frage aufwirft, mit welchen Mitteln ein sauberes Bild vom Krieg entsteht.
Provide Comfort lautet der Name der mehr als drei Jahre, zusammen mit Provide Comfort II gute 5 Jahre, dauernden Militäroffensive in Kurdistan, gegen den Irak. Und, wie viele der weit über 100 so genannten Operationen des US-amerikanischen Militärs seit Ende des Zweiten Weltkriegs, ist provide comfort ein verbaler Weichzeichner – im Namen humanitärer Ziele. Noch im Euphemismus, mittels militärischer Aktionen Trost zu spenden oder größeres Behagen zu verbreiten, markiert der Titel den unhinterfragten Herrschaftsanspruch des Westens – und er gibt seine Vermarktbarkeit für das Militär selbst wie die Zivilbevölkerung zu erkennen (Support Justice wäre ein vergleichbarer Markenname). Heiko Karn hat den Namen nicht nur in Schreibschrift entworfen, er hat ihn auch, so scheint es, auf die für Schreibhefte von ABC-Schützen typischen Linien gesetzt. Auf der Schaufensterrückwand über Kopfhöhe angebracht, stellt der Schriftzug als das Alphabet des Krieges die anderen Objekte der Installation in das Licht einer bestimmten, zivil-militärische Praktiken kritisch vorführenden Lektüre. (Dass das Label auch in eine Off-Bar einladen könnte, macht den Zynismus von Marken noch deutlicher.)

Es versteht sich geradezu von selbst, dass die unauffällige Dienst- oder Paramilitärkleidung – weißes T-Shirt, desert-farbene Cargohose und ein gleichfarbiger Parka – frisch aus der Reinigung kommt; die dünnen Plastiktüten signalisieren es. Schließlich geht es doch immer darum, die Flecken, vornehmlich Blutflecken, das Blut des Krieges und der Straßen- oder Kneipenschlägereien, immer schon bereinigt zu zeigen, so als hätte es sie nie gegeben und alles können immer wieder von Neuem anfangen. Denn die Machthaber wollen Krieg und seine zivilen Äquivalente als saubere Geschäfte sehen und zu sehen geben.
Es ist daher auch vollkommen einleuchtend, dass Heiko Karn nicht die übliche Camouflageversion für Hemd, Hose und Parka als Bestandteil seiner Installation gewählt hat. Zwar ist es das so genannte Woodland-Muster, das Tarnung optisch am besten leistet und praktischerweise schon im Gewebe Schmutz mit Schutz gleichmacht. Aber es erscheint auch als ein Anachronismus. Denn zu den neuen Krisengebieten zählen Wüsten, und vor allem Städte. Dort sehen wir die sandfarbenen Kleidungsstücke mit den vielen Taschen derzeit in allen Bereichen zwischen Arbeit und Freizeit. Allmählich haben sie die Oberfläche des Zivilen verändert und uniformiert. Mit der Diskretion der Tarnung haben sie – zunächst optisch – den Alltag latent zur Kampfzone erklärt.

Heiko Karn schafft mit Beyond Belonging eine visuelle Anordnung, die aus dem Schaufenster ein nichtnarratives Display macht. Es lässt sich wie eine Art Rebus, ein Bilderrätsel ‚lesen’. Freud hat dieses Modell der Übersetzung paradigmatisch für die Trauminterpretation vorgeschlagen. Es sieht vor, die Leerstellen oder Zwischenräume gleichbedeutend mit den Signifikaten und etwaigen Satzzeichen zu behandeln. Die Metallprofile repräsentieren dann nicht nur die unsichtbaren Zellen auf der sichtbaren Oberfläche. Um im Modell des Rebus zu bleiben, strukturieren sie wie Kommata oder Ausrufungszeichen das gesamte Bild.
Bezeichnenderweise bleibt die Fotobühne leer. Gerade die Fotografie hat einen guten Teil ihrer Geschichte im Verbund mit den Medien, zunächst mit den Zeitungen und Zeitschriften, als bewegtes Bild mit Film, Fernsehen und dem WWW zugebracht. Nun selbst Bestandteil des Displays, stellt die Fotokehle nicht nur die Möglichkeit vor, (sich) ein Bild zu machen, sondern auch die apparativen wie diskursiven Bedingungen, unter denen ein Bild entsteht. Gilt ihr Einsatz, rein fototechnisch gesehen, als Ideal einer freigestellten Darstellung, so gehört dazu konsequenterweise ein Diskurs von Bereinigung und räumlichem Niemandsland – Ideal und Ideologie sind nicht weit voneinander entfernt. Durch Heiko Karns Display hindurch gesehen, ist bei allen Formaten der Sichtbarkeit Zensur im Spiel. Und dies gilt besonders dann, wenn das Bild (von Gewalt und Krieg) nicht die Öffentlichkeit erreichen darf, sondern, gleich der schmutzigen Arbeitskluft, gereinigt, nämlich gelöscht wurde, bevor es gleichsam über den Gartenzaun hinüber und mithilfe des Fernsehers die hegemonialen Ideen von Macht, Kultur, Religion und Besitz stören würde.

http://heikokarn.com/files/gimgs/th-56_Beyond_01.jpg
http://heikokarn.com/files/gimgs/th-56_Beyond_03_v2.jpg
http://heikokarn.com/files/gimgs/th-56_Beyond_02_v2.jpg